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Interview: BURDEN OF GRIEF
Titel: Realitätsnah

Mit ihrem achten Album beweisen die seit 1994 aktiven Nordrhein-Westfalen, dass nach wie vor mit ihrem ausgefeilten Melodic Death Metal zu rechnen ist. Zeitkritisch „Destination Dystopia“ betitelt, bündelt das aktuelle Werk alle über die Jahre erworbenen Fertigkeiten und kultivierten Trademarks der erfahrenen fünfköpfigen Formation.

Philipp Hanfland, Gitarrist und Gründer der Band, macht aus den nächstes Jahr anstehenden drei Dekaden Bandjubiläum keine große Sache.

„Irgendwie hat man ja ständig alle fünf Jahre ein Jubiläum, und dazu kommen dann noch runde Geburtstage von unseren Platten. Die Zahl 30 klingt zumindest für mich größer als es sich tatsächlich anfühlt. Dadurch, dass sich die Bandbesetzung ja immer wieder mal etwas verändert hat und wir seit zwei Jahren mit Dome an der Gitarre und Manuel an den Drums zwei neue Leute in der Band haben, haben wir ohnehin keine gemeinsame Historie, auf die wir zurückblicken können. Lediglich unser Sänger Mike und ich sind wie ein altes Ehepaar, die schon viel länger zusammen sind als die meisten Beziehungen halten. [lacht] Aber gerade mit den beiden neuen Leuten an Bord und dem gemeinsam erarbeiteten Album schauen wir derzeit nur nach vorne und nicht zurück. Es wird aber im kommenden Jahr zum 30. Bandjubiläum ein Re-Release unserer ersten sechs Alben auf Vinyl geben. Das muss als Feierlichkeit reichen, ist aber auch tatsächlich eine tolle Sache, auf die ich mich schon sehr freue.“

Er selbst ist niemand, der ständig neue Songs schreibt, sagt Philipp.

„Sondern ich brauche tatsächlich nach jeder Album-Produktion ein bis zwei Jahre Abstand, wo wir uns dann natürlich auf Liveshows konzentrieren. Wenn dann wieder irgendwann die Zeit für ein neues Album gekommen ist, nehme ich mir immer nochmal in Ruhe unsere vorherigen Alben vor und schaue, was daran den Test der Zeit gut überstanden hat und wo die Kritiker vielleicht damals Recht hatten. Ich bin sicherlich unser größter Fan aber gleichzeitig auch unser größter Kritiker. Und es gibt auf jedem unserer alten Alben einige Sachen, die ich so heute vielleicht nicht mehr machen würde. Es geht mir also bei jedem neuen Album auch darum, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und die früheren Stärken heute sogar noch besser zu machen. Und ich bin davon überzeugt, dass uns dies beim neuen Album wirklich gelungen ist, woran vor allem unsere beiden Neuzugänge einen großen Anteil haben. Bei unserem vorherigen Drummer Robb haben wir uns über die Jahre immer mehr auf seine Stärken beim Songwriting konzentriert, aber eben auch seine Schwächen umschifft. Bei unserem neuen Drummer Manuel konnten wir hier viel freier agieren, weil er um einiges versierter ist und vor allem keine Scheu vor heftigen und schnellen Passagen hat. Dadurch sind die neuen Song in meinen Augen deutlich ausgereifter und kraftvoller als viele frühere Sachen von uns. Auch bei der Produktion sind wir dieses Mal keine Kompromisse eingegangen, sondern haben noch intensiver mit unserem Produzenten Kohle (u.a. Hämatom, Powerwolf) zusammengearbeitet. Wir haben neben dem Re-Amping, dem Mix und dem Mastering dieses Mal auch die Drums komplett bei ihm aufgenommen, wodurch die Produktion letztlich die stärkste und fetteste geworden ist, die wir jemals hatten.“

Die schöne Seite einer Albumproduktion ist natürlich, die Songs wachsen zu sehen, postuliert der Axeman. „Aus anfänglichen Riffideen entwickelt sich im Studio immer mehr der fertige Song. Mit jedem weiteren Produktionsschritt wird ein Song größer und stärker. Da ist auch nach so vielen Jahren und so vielen Alben immer wieder aufs Neue eines der tollsten Momente eines Musikers. Direkt im Kohlekeller Studio haben wir ja nur die Drums aufgenommen, was wir bei den letzten beiden Alben noch selber gemacht haben. Das war tatsächlich eine tolle Zeit. Die übrigen Aufnahmen haben wir wie immer selber gemacht und hier wurde es mitunter aufgrund des aufkommenden Zeitdrucks teilweise etwas stressig. Bei mir überwiegt tatsächlich die Erleichterung, wenn alles im Kasten ist, als die Freude beim Aufnehmen.“

Der Albumvorgänger „Eye Of The Storm“, veröffentlicht im 2018er Frühling, wurde von Musikmedien und Fans sehr gut aufgenommen, so ist zu erfahren. „Wir hatten damals auch schon deutlich mehr Zeit, Energie, Leidenschaft und auch Geld in die Albumproduktion gesteckt, und konnten damit auf allen Ebenen einen großen Schritt nach vorne machen im Vergleich zu den vorherigen Alben. Natürlich ist man als Band zum Zeitpunkt einer neuen Veröffentlichung immer vollkommen überzeugt vom Album. Aber die Schwächen der vorherigen Alben hatten sich damals schon schnell nach einiger Zeit herauskristallisiert. Ich persönlich war meistens von den Produktionen nicht vollkommen überzeugt, obwohl wir mit Tommy Hansen und Dan Swanö namhafte Produzenten hatten. Aber der Wechsel zu unserem jetzigen Produzenten Kohle war in jedem Fall die richtige Entscheidung, und ‚Eye Of The Storm‘ rangiert auf meiner persönlichen Favoritenliste ganz klar auf Platz zwei hinter unserem neuen Album, und mit doch größerem Abstand vor dem Rest. Die Kritiken fielen damals auch wirklich gut aus, wir haben eine aufwendige Videotrilogie produziert und haben sehr viel live gespielt, u.a. eine Minitour in England.“

Als Band haben Burden Of Grief in der leidigen Covid-Zeit viele Monate die musikalischen Aktivitäten ruhen lassen, so berichtet Philipp.

„Wir waren keine der Bands, die die freie Zeit genutzt haben, um neues Material zu schreiben. Die Situation war eher die, dass unser damaliger Drummer und unser langjähriger Gitarrist Joe familiär und beruflich so eingespannt waren - beide haben damals Nachwuchs bekommen -, dass sie ohnehin kaum Zeit für die Band gehabt hätten. Diese Situation änderte sich allerdings leider auch nicht, als wir dann irgendwann wieder loslegen konnten und wollten. An ein neues Album war zeitlich gar nicht zu denken, weswegen wir erstmal nur eine neue EP geplant hatten. Aber selbst hierfür fehlte den beiden einfach die Zeit, sodass wir uns dann irgendwann leider von ihnen trennen mussten und neue Leute suchen mussten, die wir zum Glück nach gar nicht allzu langer Suche in Dome und Manuel gefunden haben. Dies war dann schon Ende 2021. Bis in 2022 rein gab es natürlich noch einige Corona-Beschränkungen. Aber tatsächlich haben wir die Pandemie mehr oder weniger einfach ausgesessen, und danach wieder richtig losgelegt.“

Mit den beiden neuen Leuten an Bord, die Ende 2021 in die Band kamen, haben sich die Melodeather natürlich erstmal das Liveset draufgeschafft und 2022 dann die ersten gemeinsamen Shows gespielt.

„Darunter waren dann auch gleich schon größere Festivals wie das Rock Harz Open Air. Ich denke, dass wir uns gemeinsam relativ schnell eingrooven konnten und die neuen musikalischen Möglichkeiten der beiden schnell erkannt haben. Anfangs hatten wir zwar noch die Idee der EP, auf die wir auch einige Neuaufnahmen von älteren Songs packen wollten. Aber dieser Plan ist dann doch ziemlich schnell den Planungen für ein komplettes neues Album gewichen. Wir haben etwa ab Mitte 2022 mit dem Songwriting begonnen und Anfang 2023 dann mit den Aufnahmen gestartet. Wie immer rennt uns nach hinten raus immer die Zeit etwas davon. Aber jeder in der Band war extrem fokussiert, sicherlich auch nochmal mehr als das in der Vergangenheit manchmal der Fall war.“

Laut Aussage des Gitarristen hat es sich bei Burden Of Grief schon seit sehr vielen Jahren so entwickelt, dass sie neue Songs nicht gemeinsam im Proberaum erarbeiten, sondern dass diese zum Großteil zuhause geschrieben werden.

„Dennoch sind uns gemeinsame Proben sehr wichtig, und mit den beiden Neuzugängen konnten und können wir endlich auch wieder sehr regelmäßig proben. Es hatte sich bei den vorherigen Alben schon so ergeben, dass die Hälfte der Songs von mir stammen und die andere Hälfte von unserem anderen Gitarristen. Auf den Alben selber wurden die Songs dann entsprechend abgewechselt, was für mehr Dynamik beim Durchhören sorgt. Diese Arbeitsweise haben wir auch beim neuen Album beibehalten. Natürlich mussten wir anfangs erstmal schauen, ob die Songideen von Dome überhaupt zu Burden Of Grief passen. Er kam dann aber sehr schnell mit sehr vielen Ideen an, aus denen wir uns die geeignetsten Sachen auswählen konnten. Somit ergab es sich, dass Dome schon zu einem frühen Stadium viel Material hatte, was nur noch entsprechend ausgearbeitet werden musste. Ich habe dann parallel dazu an meinen Songs gearbeitet und habe sicherlich zu einem gewissen Maß auch versucht, musikalische Gegengewichte zu schreiben. Ich konnte ja schon früh absehen, in welche Richtung Domes Songs gehen würden, und habe mich dann auf Elemente konzentriert, die mir dabei noch etwas gefehlt haben. Tendenziell kann man sagen, dass die eher klassischen Melo-Death Sachen aus seiner Feder stammen und die thrashigeren Sachen aber auch die langsameren Songs von mir. Unterm Strich ergab sich daraus eine perfekte Mischung, wie ich finde.“

Wie der Griffbrettschrubber zuvor schon andeutete, haben private und berufliche Verpflichtungen es den Beteiligten über die letzten Jahre immer schwerer gemacht, die Band auf einem Level weiterzuführen, wie sie es vorher lange Zeit hatten.

„Wir mussten das Level immer weiter runterschrauben, haben immer seltener proben können und auch weniger live gespielt. Mit den beiden Neuzugängen Dome und Manuel haben wir diese Situation endlich nicht mehr. Wir hatten endlich wieder die Zeit, stark an uns zu arbeiten, um z.B. live auch wieder richtig tight werden zu können. Das ging natürlich irgendwann nicht mehr, wenn man nur alle zwei Monate gemeinsam proben kann. Wir hatten also endlich wieder die Möglichkeit, auf einem Level am neuen Album zu arbeiten, was ich schon fast nicht mehr für möglich hielt. Dazu kommen dann auch die spieltechnischen Fähigkeiten der beiden Neuen, die uns Songs schreiben lassen konnten, die wir so vorher nicht hätten schreiben können. Diese beiden Aspekte in Kombination mit der ungeheuren Motivation der beiden Neuen waren sicherlich die größten Push-Faktoren beim Songwriting für ‚Destination Dystopia‘.“

Zu Beginn der ersten gemeinsamen Konzerte im letzten Jahr hatten Burden Of Grief schon die ersten beiden Songs des neuen Albums fertig, aber so richtig intensiv losgelegt mit dem Songwriting haben sie erst zur Jahreshälfte. „Ab da ging es dann wirklich Schlag auf Schlag und zu jeder Probe wurde wieder ein neuer Song fertig. Ich bin dann Anfang Februar in den Urlaub nach Namibia gereist und hatte kurz vorher noch den letzten Song fertig gestellt. Nach meiner Rückkehr haben wir dann mit der Aufnahmen begonnen. Der Studiotermin war irgendwann gesetzt, uns rannte aber wie immer zum Schluss die Zeit davon. Ein gewisser Zeitdruck ist für uns immer wichtig, ohne dem eiern wir manchmal zu lange rum. Aber der Zeitdruck kurz vor der Deadline ist auch nicht gut, wir mussten den Studiotermin sogar einmal um einen Monat nach hinten verschieben. Das waren letztlich die größten Hürden.“

Direkt Bezug nehmend auf den aktuellen, dieser Tage nicht wenig realistisch anmutenden Albumtitel „Destination Dystopia“ geht der Dialog weiter.

„Ich bin grundsätzlich tatsächlich ein optimistisch denkender Mensch. Aber abseits von den aktuell schon vorherrschenden Problemen auf der Welt schaue ich wirklich mit größter Sorge auf die Zukunft in 20-30 Jahren. Zu den größten Problemen wird die immer stärker wachsende Weltbevölkerung gehören, die ja auch irgendwie ernährt werden muss. Die dramatisch verschlechterten Lebensbedingungen im Zuge der Klimaerwärmung kommen ja jetzt schon hinzu. Aber anstatt, dass die Weltgemeinschaft hier zusammenrückt und gemeinsam nach Wegen und Möglichkeiten schaut, driftet sie immer weiter auseinander. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie unsere Kinder ihrerseits noch eine nächste Generation in den Welt setzen kann, die dann noch halbwegs sorgenfrei leben kann. Wir spüren momentan eher nur die Vorboten dessen, was irgendwann auf die Welt hereinbrechen wird. Und dazu kommt noch, dass nächste Generationen eine Band wie Iron Maiden nicht mehr live erleben kann. Das ist doch kein lebenswertes Leben“, erschallt es von einem scherzhaften Lachen begleitet.

Auf lyrischem Terrain gehen Burden Of Grief bereits seit dem letzten Album immer mehr von rein fiktiven Themen weg.

„Hin zu Entwicklungen die uns alle betreffen. Vieles davon dreht sich natürlich um die bereits angesprochenen düsteren Zukunftsaussichten, so z.B. in ‚World Under Attack‘, ‚Downfall‘ und natürlich im Titelsong ‚Destination Dystopia‘. Andere Songs sind aber auch sehr persönlicher Natur. In ‚Fevered Dreams‘ und ‚The Devil's Bride‘ verarbeitet unser Sänger Mike z.B. die Trennung von seiner langjährigen Partnerin, wo auch die Selbstmordgedanken vom Song ‚My Suicide‘ mit reinspielen. Und im Song ‚Mass Murder Society‘ geht es um das unfassbare Leid in der Fleischindustrie. Aber Tönnies und Wiesenhof sind halt billig, und seine Currywurst und sein Schnitzel lässt sich der Deutsche nunmal ungern wegnehmen.“

Philipp hofft, so verkündet er, dass die Hörer die viele Arbeit und Leidenschaft, welche die Formation in „Destination Dystopia“ gesteckt haben, beim Hören erkennen werden.

„Wenn eine Band so wie wir schon so viele Jahre besteht, haben sich Viele ja schon im Laufe der Zeit irgendwann ein Bild davon gemacht. Sei es, weil sie uns irgendwo mal live gesehen haben, oder weil sie frühere Songs von uns kennen. Ich tue mich selber auch schwer damit, eine bereits gefestigte Meinung über eine, vor allem ältere Band, zu revidieren. Bei mir persönlich ging es z.B. bei Testament und Flotsam And Jetsam so. Beide Bands kenne ich schon sehr lange, konnten mich aber nie so richtig überzeugen. Aber gerade deren letzten drei, vier Alben haben mich auf einmal absolut gepackt und ich musste meine Meinung zu beiden Bands komplett ändern. So etwas erhoffe ich mir auch mit unserem neuen Album erzeugen zu können.“

© Markus Eck, 27.10.2023

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