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Interview: CRAVING
Titel: Fulminante Dramen

Seit 2016 werkten und feilten diese rundum exemplarischen Überzeugungstäter an neuen Liedern. Viel kam dazwischen - viel kam aber auch heraus, wie das neue und vierte Album „Call Of The Sirens“ offenbart. Craving, einmal mehr nur zu gerne im maximalen Geschwindigkeitsrausch, schrauben darauf ihre ureigene, mitreißend hymnische Blackend-Power-MeloDeath-Kunst in bislang höchste Höhen hinauf.

Sänger Ivan Chertov freut sich: „Für mich ist es ein sehr persönliches Album und meiner Meinung nach das stärkste und ausgereifteste Werk, welches Craving bisher veröffentlicht haben.“

Für Drummer Wanja Gröger, seit 2018 im Line-Up, ist es das erste Album, wie er sagt, an dem er mitwirken durfte. „Daher habe ich relativ wenig Vergleich, aber ich bin sehr zufrieden mit unserer Zusammenarbeit und sehr stolz auf das, was wir geschaffen haben. Rein vom Hören her stimme ich Ivan zu, dass es etwas erwachsener und reifer daherkommt als vorherige Alben, vor allem was die Lyrics angeht.“

Laut Ivan hatten Craving diesmal sehr viel Zeit, um an „Call Of The Sirens“ zu arbeiten. „Somit floss die gesamte Erfahrung der vergangenen Alben in diesen Release ein. Entsprechend bin ich in der Tat sehr zufrieden mit den Songs, es gibt für mich quasi kein Füllmaterial, im Gegensatz zu der ersten Albumtrilogie, wo ich manch’ einen Song gerne neu aufnehmen und abmischen würde! [lacht] Dies ist übrigens das erste Album von uns mit einem durchgängigen lyrischen Konzept, welches sich um das Thema Narzissmus dreht.“

Wanja ergänzt: „Es ist inzwischen eine Weile her, dass ich die Drums eingetrommelt habe, daher gibt es immer die eine oder andere Kleinigkeit, die ich vielleicht inzwischen hätte etwas besser machen können, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden mit allen Songs!“

Die Arbeit am Songwriting verlief diesmal völlig organisch, lässt Ivan wissen.

„Im Gegensatz zu den ersten drei Alben, wo zu 99% Guitar Pro zum Songwriting benutzt wurde, ist hier Handarbeit vonstatten gegangen. Sprich, nach der Formel ‚Gitarre+Couch‘. Die ausgedachten Riffs wurden anschließend direkt aufgenommen. Wir haben an sich direkt nach dem 2016er Longplayer ‚By The Storm‘ mit dem Songwriting losgelegt. Zur Auswahl standen 15 Songs, aus denen wir die acht besten schließlich ausgewählt haben.“

Wanja weiß lobend hinzuzufügen: „Die Songs stammen größtenteils aus Ivans Feder. Er hat mir einfach die Riffs gegeben und mir quasi freie Hand gelassen, was das Drumming angeht - ein Traum für mich als Schlagzeuger! Dazu kommt noch, dass man sich bei dieser Musik nicht zurückhalten muss und ich deshalb einfach alles in die Waagschale werfen konnte, was ich zu bieten habe - was für mich als Musiker sehr befriedigend war.“

Ivan bestätigt den Maincomposer in ihm: „90 % des Materials entstammt in der Tat meiner Feder. Lediglich die Songs ‚Star By Star‘, der komplett von unserem ex-Mitglied Leonid Rubinstein geschrieben wurde, als auch ‚Prayer For The Rain‘ sind Lieder, die nicht zu 100% von mir kommen. ‚Prayer For The Rain‘ hat ein Riff von Leo, sowie den gesamten Text, den er, ohne zu wissen, was ich mit dem Arbeitstitel ‚Prayer For The Rain‘ originär meinte, schrieb. Letzten Endes passte Hoffnungslosigkeit jedenfalls sehr zum aktuellen Albumkonzept von Narzissmus und Psychopathie. Zudem wurden die Orchestrierungen auf ‚Prayer For The Rain‘ von einem guten Freund geschrieben, Fabian Mofid, der sich hauptsächlich mit Soundtracks und elektronischer Musik beschäftigt.“

Das Einsingen hat ihm am allermeisten Spaß gemacht, so bilanziert Ivan: „Diesmal hatte ich ein Shure SM-7b-Mikrophon benutzt, welches ich in der Hand hielt, somit war ich viel flexibler und konnte mich viel emotionaler ausdrücken als auf den vorherigen Alben. Dadurch, dass wir alles selbst in unseren Home-Studios aufgenommen haben, hatten wir viel kreativen Freiraum sowie Zeit, um an Details zu feilen. Mein Ziel war es, den Gesang so aggressiv wie möglich zu gestalten, man sollte das Gefühl haben, mir explodiert gleich der Kopf! Im Kontrast dazu sollte der klare Gesang eine Hymnenhaftigkeit haben, wie nirgendwo zuvor auf unseren Alben.“

Auch Wanja bekommt in diesem Kontext leuchtende Augen.

„Vom Schlagzeug her hat es mir sehr großen Spaß gemacht, so zu spielen, dass ich viele Dinge, die die Gitarren machen, genau mit betone. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Passagen, in denen die Gitarren mehr eine Art ‚Teppich‘ bilden, was mir dann ermöglicht, etwas freier und mehr ‚improvisiert‘ zu agieren.

Das Songwriting zu „Call Of The Sirens“ fing unmittelbar nach dem Release des Albums „By The Storm“ im Jahre 2016 an, wie Ivan informiert:

„2017 habe ich bereits die ersten Lieder geschrieben. Der Tiefpunkt trat ein, als es zu Diskrepanzen mit unserem ehemaligen Label kam, die mich sehr runtergezogen haben. Es wurde klar, dass unsere Zusammenarbeit keine Zukunft hatte. Es ging mir teilweise so schlecht damit, dass ich für einen längeren Zeitraum gar eine Art kreative Pause eingelegt habe. Nachdem Wanja beispielsweise das Schlagzeug schon längst fertig hatte, habe ich mir Monate Zeit gelassen, die Gitarren neu einzuspielen. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich einfach nicht konnte. Die Ungewissheit und die Rückschläge haben mich echt sehr runtergezogen. Aber hier sind wir mit einem neuen starken Label im Rücken und stärker als je zuvor!“

Wanja steuert zu dem Thema bei: „Es gibt Songs, bei denen es mir sehr schwer fällt, Ideen zu haben - bei Craving hatte ich dieses Problem absolut nicht! Meistens ist mir fast sofort die eine oder andere Idee in den Kopf gesprungen, wie ich dieses oder jenes Riff begleiten möchte. Das einzig Schwierige war, manche dieser Ideen dann auch letztlich im Recording umzusetzen, weil ich es mir echt nicht leicht gemacht habe.“ [lacht]

Was die lyrischen Hintergründe zu den neuen Songtexten betrifft, so ist dazu von Wanja in Erfahrung zu bringen: „Insgesamt würde ich sagen, dass die Lyrics für dieses Album sehr in der manchmal bitteren Realität des menschlichen Lebens und Erlebens verwurzelt sind. Es geht um Narzissmus, Psychopathie oder auch übermäßigen Alkoholkonsum - in ‚Blood Ov Franconia‘ - und eine ganze Reihe weiterer Dramen, mit denen man als Mensch so konfrontiert wird.“

Ivan nickt: „Ja, insgesamt ist der Überbegriff des neuen Albums ‚Narzissmus und Psychopathie‘. 2019 traf ich den Narzissten, der letzten Endes den Titel des Albums inspirierte. Welche Folgen diese Begegnung für mich hatte, kann sich ein emotionaler Mensch leicht ausmalen. Die Lyrics beschäftigen sich ganz klar eher mit der Realität, wir haben zum Beispiel mit ‚Death March‘ ein Lied über Trennung von Toxischem, oder mit ‚Mich packt die Wut‘ über blinde Wutanfälle - oder den ‚Party-Song‘ ‚Blood Ov Franconia‘, wo es einerseits um Bamberg und andererseits um Alkoholismus geht. Alle Lyrics sind also vom Leben und der alltäglichen Realität inspiriert.“

Als es um die - jeweilig - absolvierte Studiozeit geht bzw. ob die Beteiligten diese als eher stressig oder schön empfunden haben, legt Wanja vor:

„Drums habe ich bei mir im eigenen Studio eingespielt. Das war super entspannt und ich habe da echt gemerkt, wie viel effizienter ich arbeiten kann, wenn ich allein bin und meine Ruhe habe.“

Ivan resümiert hierzu: „Das war alles super entspannt, da wir alles selbst produzieren. Der Mixing Prozess mit Christoph Brandes war ebenfalls sehr entspannt, da er unsere Musik seit mittlerweile zehn Jahren mixt und Craving sehr gut kennt. Für mich war eines der Highlights, den Gitarristen einer meiner Lieblingsbands, Cradle Of Filth, mit auf unseren Aufnahmen zu haben. Marek hat einen unfassbar geilen Beitrag abgeliefert! Zudem hat es mich gefreut, meine Freunde Esther Sarai Deviers, Michelle Bouma und Fabian Mofid auf der Platte begrüßen zu können. Zwei meiner Arbeitskollegen haben es auch geschafft, Konstantin Raab von Varus und Resi Winterhalter geben Ihren Gesang in zwei Songs zum Besten.

Wie Ivan nachfolgend überraschend zu berichten weiß, haben Craving zum Album in einer Woche ganze vier Musikvideos gedreht. „Um dies bewerkstelligen zu können, sind Wanja und unser Gitarrist Jonas mit übermäßig viel Filmequipment den weiten Weg aus Hamburg hierher nach Bamberg gereist. Ich musste einiges an Genehmigungen einholen, um zum Beispiel in Bamberg mit einer Drohne fliegen zu dürfen oder in der Oberpfalz auf dem Felsen zu filmen. Wir haben es aber geschafft, wirklich alle vier Musikvideos in nur sieben Tagen zu verfilmen - am Ende jedes Tages waren wir nur noch fertig, aber glücklich! Dass man uns die Freigabe erteilt hat, auf der Altenburg zu filmen, fühlt sich für mich bis heute surreal an. Dass die Schlenkerla Brauerei uns ebenfalls ihren Segen gab, ebenfalls! Allerdings wollten sie den Text vorab lesen, um zu überprüfen, dass wir kein Lied über die verfluchten Weinfranken schreiben. [lacht] Die Videos sind alle DIY - und um eine Drohne fliegen zu dürfen, musste ich einen EU-Drohnenführerschein für A1/A3 Drohnen machen. Ich bin bis heute sehr dankbar, dass meine Freunde Evelyn und Quinn bei den Shootings mit eingesprungen sind. Evelyn als Sirene und Quinn als einsamer Wanderer durch das verbrannte Gebäude. Ebenfalls hat mir mein Arbeitskollege Kris Kucharchik mit Videoequipment ausgeholfen, sowie unser Live-Bassist-Kandidat Romain mit Licht beim Story-Dreh zu ‚Death March‘. Während ‚Gods Don’t Negotiate‘ haben wir es geschafft, Wanjas Gimbal zu verschrotten und wurden in der Fünf-Stunden-Wanderung von merkwürdigen kleinen, fränkischen Fliegen-Vampiren beinahe zu Tode leergesaugt. Bei ‚Call Of The Sirens‘ sieht man diese Bastard-Fliegen im letzten Shot, als Evelyn aus dem Wasser herauskommt.“

Auch für Wanja war der ganze Musikvideo-Dreh ein großes Abenteuer, wie er postuliert: „Mit Drehorten auf hohen Felsen oder tief in Höhlen etc., was uns als Band deutlich fester zusammengeschweißt hat. Sonst sehen wir uns ja nicht allzu oft in Persona.“

© Markus Eck, 02.05.2023

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