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Interview: EDENBRIDGE
Titel: Schöpferische Reinkarnation

Für das neue Album „Shangri-La“ erheben sich die österreichischen Symphonic Metal-Spiritualisten diesmal in geradezu ‚paradiesische‘ Sphären.

Einmal mehr gingen Edenbridge tief in sich, um ein strahlendes Füllhorn immens inspirierter Kompositionen in die Ohren der Fans auszuschütten. Und die langjährig aktive Formation um Sängerin Sabine Edelsbacher hat sich einmal mehr selbst neu erfunden, wie das erfrischende und belebende Material in aller Homogenität aufzeigen kann.

Das neue Album zeigt den eigenständigen Visionärs-Sound der anhaltend geschmackvollen Formation diesmal von einer kompositorisch eher moderater gehaltenen, aber nicht minder gewordenen, emotional ausladenden Erscheinung. Für Multiinstrumentalist und Maincomposer Arne ‚Lanvall’ Stockhammer fühlt es sich großartig an, wie er sagt, dass das gute Stück jetzt endlich erscheint.

„Auch deswegen, weil die ganze Promotionphase mit den drei Singles und Videoclips ja bereits im März begann. Mich begleiten die Songs von der Entstehung, Arrangierphase und Produktion über einen sehr langen Zeitraum. Würde mich da nach zwei Jahren irgendetwas nicht mehr flashen, liefe was schief. Und was mir extrem wichtig ist, ist Abwechslungsreichtum. Kein Song sollte wie ein anderer klingen.“

Sabine ergänzt ihren Bandkollegen bestens gestimmt:

„Mich freut es auch, dass es so wahrgenommen wird, dass wir einen eigenständigen Sound haben und uns dennoch nicht wiederholen. Das bekommen wir tatsächlich öfters attestiert und es mag daran liegen, dass wir nicht im Außen darauf schielen, was gut ankommt. Dennoch versuchen wir uns schon aus einer inneren Neugierde heraus weiter zu entwickeln und das spiegelt sich dann im kreativen Prozess wider, so denke ich.“



Teils wird diesmal sogar musikalisches Neuland von Edenbridge betreten - Lanvall informiert in dem Kontext: „Letztendlich ist das genau mein innerer Antrieb, einerseits natürlich für den Fan sofort erkennbar zu sein, andererseits aber immer neue, frische Elemente zu integrieren, die den Sound aufregend halten. Deswegen war es z.B. sehr spannend einen Song wie den Opener ‚At First Light‘ mit seinem ‚floydischen‘ Mittelteil und den Gospelparts am Ende zu schreiben. ‚Savage Land‘ hat man in dieser Form vermutlich auch noch nicht von uns gehört, auch aufgrund des irrwitzigen Solos vom NDR Orchester-Flötisten Daniel Tomann-Eickhoff. Es gibt ohnehin unglaublich viele Details in den neuen Liedern, die es zu entdecken gilt. Und der 16-minütige Abschlusstrack ‚The Bonding (Part 2)‘ definiert dann auch sehr gut, wofür Edenbridge im Jahr 2022 stehen.“



Die auch thematisch so findigen Linzer bleiben weiterhin auf dem spirituellen, buddhistisch fokussiert suchenden Trip, was viele sehr begrüßen werden. Sabine legt dar, wie die Idee zum aktuellen „Shangri-La“-Bereich entstand.

„Es ist eigentlich kein Konzept, aber es ergibt sich meistens automatisch ein roter Faden. Wir haben den Anspruch, unserem Bandnamen gerecht zu werden und der bedeutet eben Welten zu verbinden und dem Wesentlichen näher zu kommen. Im Namen von Religionen ist sehr oft das Gegenteil passiert. Das geschriebene Wort ist eben Auslegungssache und vom Bewusstsein der Menschen abhängig. Man läuft immer Gefahr missverstanden zu werden. Von daher versuchen wir viel in Metaphern zu schreiben. Das gibt dem Hörer die Möglichkeit sich selbst einen Reim draus zu machen. Ich halte Bewusstseinsentwicklung für das Wichtigste überhaupt. Alles was den Blick weitet statt verengt ist wichtig. Die Menschheit ist im Moment an einem Punkt, wo die technische Entwicklung weiter voranschreitet, während das Bewusstsein nicht im gleichen Maße mitzieht. Es geht also darum zu erkennen, dass wir Schöpfer und nicht Opfer unserer Lebenssituationen sind um zu entscheiden, was wir wirklich wollen als Menschheit. Ich meine im 21. Jhdt. ist es wichtig, Eigenverantwortung für seine Gefühle zu übernehmen um darüber hinaus wahrzunehmen, dass wir mehr sind als unser Körper, unsere Gefühle und vor allem unser Denken. Jeder Mensch braucht einen Sinn im Leben um es lebenswert gestalten zu können. Dort wo Menschen ihrer Bestimmung folgen und dadurch Sinn und Zufriedenheit spüren, sind sie bereits am Weg nach ‚Shangri-La‘. Je mehr Menschen sich daran erinnern, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Rest ebenfalls erkennt worum es wirklich geht hier auf Erden. Auf jeden Fall möchten wir mit unserer Musik dazu beitragen, dass sich Menschen an ihre eigene Essenz erinnern und damit entspannen können und sich gut fühlen.“


Es wäre im Sinne vieler begeisterter Band-Follower eigentlich herzlich zu begrüßen, wenn die Ethno-Nuancen, die diesmal partiell so deutlich zu hören sind, künftig noch mehr eingebracht würden - teils wie ein tragendes Instrument. Eine Mischung aus 70 % Edenbridge und 30 % aus den Franzosen von Rajna sozusagen.

Lanvall freut die Anregung sichtlich:

„Die Ethno-Einflüsse spielten immer eine Rolle bei uns, mal mehr, mal weniger. Es hängt ja immer von den Songs ab. Bei ‚The Road To Shangri-La‘ kommen dabei eine elektrische Sitar und eine Swarmandal - also eine indische Zither - zum Einsatz, welche die Atmosphäre des Songs perfekt unterstützen. Ich besitze ja eine Menge dieser Instrumente und kann somit immer aus dem Vollen schöpfen. Diesen fantastischen Obertonreichtum kann man durch Samples nicht wirklich erreichen.“


Befragt, wie sich das gesamte Songwriting für „Shangri-La“ gestaltete und ob er schnell in einen guten Workflow nach der inhaltlichen Grundidee kam, ist von Lanvall zu erfahren:

„Wir kehrten im Januar 2020 von der 70.000 Tons Of Metal Cruise zurück und waren schon in den Tourvorbereitungen und ich zusätzlich in der Vorbereitung für die Welturaufführung meiner ersten Symphonie. Als sich im März dann alles änderte, begann ich einen neuen Plan aufzustellen und begann relativ zügig mit dem Songwriting und kam auch sehr gut in den von dir genannten Workflow. Natürlich gab es zwischendurch immer wieder Pausen, aber ich merkte schon sehr bald, dass da ein richtig geiles Album am Entstehen ist. Bei mir ist es auch so, dass ich oft an mehreren Songs parallel arbeite und sie dann Schritt für Schritt vollende.“

Aufgrund der neuerdings mehr zur Verfügung stehenden Zeit für Kreatives gab es für ihn eigentlich keine kniffligeren Arbeits-Passagen, weil er sich noch tiefer reinknien konnte ins Ganze, sagt er. „Denn ich hatte auch in ‚normalen‘ Zeiten den gleichen Perfektionsanspruch an mich selber, insofern dauert dieser Prozess meistens gleich lange.“

Die Band-Zusammenarbeit lief auch in der Pandemie genauso wie immer ab. „Ich komponiere und arrangiere die Songs. Dabei sind Gitarren, Bass und Keyboards bereits fertig ausgearbeitet. Bei den Recordings von Drums und Bass gibt es natürlich dann diverse Änderungen, die passieren dann eher spontan. Sehr spannend war natürlich wieder die Zusammenarbeit bei den Texten mit Sabine. Das ist immer ein sehr kreativer Prozess in dem wir uns die Worte und Phrasen um die Ohren hauen.“

Sabine ergänzt dazu:

„Ich würde auch sagen, dass Covid auf die Zusammenarbeit keinen Einfluss genommen hat, weil sich der Entstehungsprozess ohnehin über einen langen Zeitraum zieht. Und das Telefon läuft auch ohne Pandemie manchmal heiß, weil wir ja nicht alle gleich ums Eck wohnen. In Bezug auf die Songtexte arbeite ich meistens meine Gedanken auf Deutsch aus und schreibe sie nieder wie sie in meinem Kopf entstehen. Oft hat Lanvall schon den Titel zuvor und wir suchen gemeinsam was hier am besten passt. Im Laufe des Schreibens auf Rhythmus und Reim in Englisch kommen wir dann sehr oft auch ganz wo anders hin. Da lassen wir uns führen was der Song verlangt. Am Schluss stellen wir dann dennoch meistens fest, dass wir alle meine Phrasen, die ich zuvor aufgeschrieben hatte, in irgendeiner Weise untergebracht haben. Diese Zeilen gaben die Intention vor - aber am Erstentwurf darf man sich nicht festklammern. Im Kreativ-Flow entstehen so die besten Sachen und wir lassen beide nicht locker, wenn es uns nicht ganz zufrieden stimmt.“

Für Lanvall ist das Schöne an einer solch aufwändigen Produktion, sagt er, dass die Freude mit jedem Puzzlestein, der dazukommt erhalten bleibt. „Wenn z.B. die Chöre aufgenommen werden, das echte Schlagzeug und natürlich der Gesang von Sabine. Und letztendlich dann alles durch Karl Grooms Mix so klingt, wie ich es vorher schon in meinem Kopf höre.“

Auch sie singt auf „Shangri-La“ auf gewisse Weise ‚besonnener‘, möchte man meinen - aus freudigem, hingebungsvollen Respekt vor dem schon sehr gewaltigen Hauptthema? Sabine dazu: „Na ja, auch das Main-Thema von ‚Dynamind‘ war bereits schon gewaltig. Damit haben wir thematisch vorweggenommen was uns heute um die Ohren zu fliegen scheint. Ich kann mich noch erinnern wie schwer ich mir tat das in den Interviews 2019 zu erklären und hatte dennoch das Gefühl, dass es nicht angekommen war. Kurz zusammengefasst: es ging um die Spaltung und dass wir diese Kräfte (kriegerische Energien = Dynamit) nicht gegeneinander einsetzen (Explosion), sondern zur Höherentwicklung (Erkennen - Mind) nutzen sollten. Dynamind eben. Das Gitarrensolo im Titelsong zog einem ohnehin förmlich die Energien aus dem Becken nach oben ins Hirn. Und es ist immer auch eine Herausforderung den eigenen Texten im Leben selbst gerecht zu werden, keine Frage. Deshalb klopfe ich auch oft bei der Weisen in mir an, um zu erkunden wie ich mit dieser oder jener Situation am besten umgehen könnte. Man lernt mit jedem Lebensjahr dazu und ist dennoch nicht davor gefeit in alte Muster zurückzufallen. Manches fällt aber auch weg von einem und steht gar nicht mehr zur Diskussion. Wie wenn man durch ein Portal tritt und auf einer neuen Ebene neue Herausforderungen vorfindet. Stimmlich gesehen drückt sich das dann so aus, dass ich mir beim neuen Album tatsächlich mit gewissen Teilen viel leichter getan habe als in der Vergangenheit. Und ich weiß jetzt schon, dass der Prozess nicht zu Ende ist, das wäre langweilig.“

Sabine sagt in der aktuellen Album-Info „Das Paradies betritt man nicht mit Füßen, sondern mit dem Herzen.“ - was mich sofort an „Wahrer Reichtum findet nur im Kopf statt.“ erinnert.

Es scheint mir, als würden Edenbridge als Band - ich habe auch mit Schlagzeuger Johannes öfter mal geschrieben, von daher bin ich im Bilde - mit der Weiterentwicklung ihrer Musik auch eine spirituelle Weiterentwicklung in sich zelebrieren. Korrekt? 



Sie erläutert: „Diese Weiterentwicklung auf allen Ebenen ist für uns wichtig, ganz genau. Man kann sich entweder vom Leben geschlagen geben, dann wird man das vermutlich in der Musik und in der Stimme auch irgendwann hören, oder zu neuen Ufern aufbrechen und Neues erkunden. Vor allem Johannes ist auch so ein neugieriger Geist. Was verbindest du mit ‚Wahrer Reichtum findet nur im Kopf statt‘? Ich vermute mal du meinst Visionen und Träume. Meine Vision war immer mit meiner Stimme den Himmel auf die Erde zu bringen. Das findet dann nicht nur im Kopf statt, sondern ich bin tagtäglich mit der Umsetzung beschäftigt, selbst wenn ich nicht singe. Es ist eine Entscheidung die man trifft und dann muss man es auch tun. Das Sprichwort, dass man das Paradies nur mit dem Herzen betreten kann bedeutet, dass das Paradies in Wirklichkeit kein physischer Ort ist, sondern eine Geisteshaltung. Da sich im Herzen die Gegensätze verbinden sagt man, dass man sich dort viel mehr im Einheitsbewusstsein befindet als in der Trennung. Auch wenn’s kitschig klingen mag, man nennt es Liebe.“

Erik Martensson mischt nun schon zum dritten Mal gesanglich mit - mit thematisch ‚hinterfragenden‘ Counterpart-Beiträgen. Sieht nach einem ‚Never-change-a-winning-team‘ aus, oder?

Lanvall erinnert sich zurück: „Als ich die ersten sechs bis sieben Minuten von ‚The Bonding (Part 2)‘ fertig hatte, erinnerte es mich von der Struktur und vom Aufbau etwas an den ersten Teil von ‚The Bonding‘. So fragte ich Erik Martensson von Eclipse, ob er auch dieses Mal wieder dabei sein will und er sagte sofort ‚Tell me how, where and when and I'll do it!‘. Schlussendlich lieferte er fantastische Parts ab und dieses Mal gibt es auch wesentlich mehr Duettparts als beim ersten Teil.“

Sabine: „Bei dem Song geht es aktuell darum, dass Erik in seiner Rolle den fragenden Verstand repräsentiert, der das große Ganze, welches ich in meiner Rolle als Weise verkörpere, verstehen möchte. Der Verstand plagt sich, aber kommt dem Mysterium nicht näher. Erst zu jenem Zeitpunkt, wo er komplett am Verzweifeln ist und loslässt, bekommt er einen Vorgeschmack auf die Verbundenheit. Für mich ist der Endpart einer der besten Songs überhaupt von Edenbridge und ich spüre regelrecht, wie mir beim selber Hören die Gänsehaut kommt und das passiert im Normalfall nicht so schnell.“

Auch Sänger Thomas Strübler ist mittlerweile fixer Bestandteil von Edenbridge und ist ebenfalls schon zum dritten Mal dabei. Wie er es wohl geschafft hat, seine Co-Stimme so chorähnlich zu arrangieren? Lanvall gewährt Einblick:

„Er ist für mich der mit Abstand beste Metal-Sänger Österreichs und es ist jedes Mal eine Freude mit ihm zusammenzuarbeiten. Dabei bestehen die meisten Chorteile aus 24 bis 32 Stimmen, manchmal auch mehr. Dies geschieht durch so genannten Layering. Thomas singt dabei von einer Line vier Stimmen normal, zwei Stimmen heavy und zwei Stimmen ganz zart. Dann das Gleiche in der nächsten Stimmlage usw. Dadurch und in einem speziellen Mischungsverhältnis zueinander bekommt man diesen Choreffekt. Und seine Chöre harmonieren fantastisch mit Sabines Lead-Vocals.“

Sabine: „Thomas ist vom Typ her auch eher der Ruhige und Sanfte und wenn er singt holt er sein ganzes Repertoire aus sich raus und kann es in seinen stimmlichen Ausdruck packen. Das ist echt Knochenarbeit die er da leistet mit den vielen Stimmen. Durch seinen Einsatz entsteht auch der Ausgleich der männlichen und weiblichen Polaritäten im stimmlichen Sound. Ich könnte das gar nicht abdecken und bin sehr froh, dass Thomas das so toll macht.“

Lanvalls typisch feines, hochmelodisches Lead-Gitarrenspiel bringt mich auch diesmal wieder in höchste schwelgerische Wonnen - wann geht es dem Meister wohl am besten von der Hand, in welchen Stimmungen?

„Das ist schwierig zu sagen“, so Lanvall, „aber meistens entstehen die Soli aus der Improvisation. Du hast den entsprechenden Part und die Harmonieabfolgen und die inspirieren dich dann. Ein Solo solltest du immer mitsingen können, insofern ging es mir auch nie um irgendwelches Technikgewichse, sondern um die Melodie. Einer der mich da wirklich berührt ist John Petrucci. Seine unfassbaren Soli in u.a. ‚The Best Of Times‘, ‚The Ministry Of Lost Souls‘ oder ‚Breaking All Illusions‘ sind einzigartig, da kommt für mich niemand anderer emotional ran.“



Die verspielten, balladesken An(Klänge) und Nuancen auf „Shangri-La“ erfreuen mich als philosophisch veranlagten Träumer sehr - so schön beseelt vor allem auch in „Arcadia - The Great Escape“! 



Was verbindet Lanvall selbst mit derlei Aspekten des neuen Albums? „Die verspielten und balladesken Nuancen sind natürlich auch wichtig in unserem Sound. Der Song beginnt ja eher wie eine normale Ballade und bekommt aber dann durch die elektrische eine interessante Drehung in dem zweiten Strophenteil. Der große Chorus hat dann zudem noch einen relativ untypischen Tempo-Change, der dir anfangs gar nicht auffallen wird. Alles in allem ein spannender Song und auch nicht gerade typisch für uns.“

© Markus Eck, 25.08.2022

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