Top
Interview: FINSTERFORST
Titel: Schwer und dunkel

Mit ihrer episch gewagt geweiteten Breitleinwand-Version der Kategorie Folk Metal sind die sechs Schwarzwälder Finsterförster anhaltend außergewöhnlich kreativ am Werk.

Was die Formation in den Blütezeiten des Genres als fähige Pioniere bekannt werden ließ, das kultiviert der anhaltend visionäre Sechser auf seiner neuen EP weiter aus. Es bleibt ungewöhnlich: „Jenseits“ betitelt, enthält die Veröffentlichung einen Mammutsong mit knappt 40 Minuten Spieldauer!


Nächstes Jahr machen sie als Band die zwei Dekaden voll. Gitarrist Simon Käflein blickt zurück: „Damals haben wir sicherlich nicht wirklich in die Zukunft geblickt oder blicken wollen. Wir waren zunächst mit uns und der Komplettierung der Band beschäftigt und waren lange verzweifelt auf der Suche nach einem Schlagzeuger. Diesen hatten wir dann erst zwei Jahre nach unserer Gründung gefunden, sodass wir erst seit 2007 live auf der Bühne stehen konnten. Aber selbst nach den ersten paar Jahren dachten wir nicht daran wie es um uns in zehn oder 20 Jahren stehen würde. Nur eines stand und steht für immer fest: Wir wollen niemals aufhören.“ 




Das vorhergehende Album „Zerfall“ erschien im 2019er Sommer.

„Es kam weitestgehend sehr positiv an. Überraschend war das für uns aber nicht wirklich, denn dieses Album hat die Vorgänger um Welten in den Schatten gestellt – sowohl kompositorisch als auch produktionstechnisch.“



Über die Covid-Zeit hat der Saitenschrubber eine zweigeteilte Meinung.

„Die Pandemie war für uns wie für die meisten ‚Kulturschaffenden‘ eine riesige Scheiße. Natürlich hatte man während dieser Zeit nach wie vor die Gelegenheit kreativ zu sein und Neues zu schreiben, aber die komplette Veranstaltungsbranche war im Eimer und somit gab es für lange Zeit keinerlei Konzertmöglichkeiten. Die Aktivität als Band wurde also sehr eingeschränkt und jeder konnte sich zum Beispiel mehr auf sich, seine Arbeit und seinen Alltag konzentrieren. Ich sehe nicht ausschließlich Schlechtes in dieser Zeit. Im Gegenteil – es passierte auch sehr viel Gutes. Kinder entstanden, Familien wuchsen und es kam zu etwas weniger Konfrontation mit Gesichtern, die man ohnehin nicht sehen wollte.“ [lacht]



Das Crowdfunding, mit dem die neue EP mitfinanziert wurde, fand regen Anklang, so Simon. „Auch wenn uns die Covid-Zeit ziemlich eingedämmt hatte, wollten wir nicht untätig bleiben. Daher kamen wir schnell auf Idee, wenigstens als ‚kleinen‘ Übergang zwischen der ‚Zerfall‘ und unserem nächsten Album eine EP zu schaffen. Sofort hatte ich dann die Vision von e-i-n-e-m Lied, welches jedoch auch für uns von der Spielzeit her etwas exotisch sein sollte. Finsterforst ist für uns nach wie vor ein intensives Hobby. Ein Hobby, in welches man ziemlich investieren muss um es aufrechterhalten zu können. Arbeit, Zeit und Geld. Da wir zu dem Zeitpunkt dann ohne Label waren, kamen wir spontan auf die Idee, unsere Fans zu fragen, was sie von einer solchen ‚Ein-Lied-EP‘ halten würden und ob man auf Unterstützung zählen könnte. Das Feedback hierzu fiel äußerst positiv aus und so war es für uns klar, dass wir dieses Experiment wagen wollten. Jedoch will ich anmerken, dass nicht die komplette Produktion dieser EP einzig und allein durch das Crowdfunding finanziert werden konnte. Das gesamte Paket der ‚Jenseits‘ hat ein ziemlich schweres Gewicht – Studioproduktion, Schallplatten, CDs etc. ... hat alles seinen hohen Preis.“


Jeder Supporter hatte dabei die Möglichkeit, vorab sein gewünschtes Produkt – egal ob CD, Schallplatte, Shirt, zusätzliche Spende etc. - vorzubestellen. „Die ganze Kampagne lief sehr gut an und wir kamen auf ein Ergebnis, mit welchem wir nicht gerechnet hatten. Wir sind so unendlich dankbar für die Hilfe, mit der wir ‚Jenseits‘ in dieser Zeit haben realisieren können.“



Die Idee, einen so dermaßen langen Song zu machen, zudem in vier Kapiteln unterteilt, erachtet der Klampfer für seine Band als gar nicht mal so überraschend.

„Es ist ja nichts Neues, dass wir mit Finsterforst generell eher längere Lieder schreiben. Wir wollen nach wie vor auf einer sehr atmosphärischen, mächtigen, tiefgründigen, schweren, dunklen und weiten Ebene agieren – sowohl musikalisch als auch textlich. Wir haben unseren Weg spätestens seit der ‚Zerfall‘ etwas klarer definiert und wollen uns stets sehr frei und weitläufig in unseren musikalischen und lyrischen Räumen bewegen. Hierzu bedarf es schlichtweg manchmal etwas mehr (Spiel-)Zeit, um das Ausgedachte ‚malen‘ zu können. Nichts Bestimmtes führte zu der Idee, diesen einen Song zu schreiben. Es ist einfach die grundsätzliche Herangehensweise mit der wir uns in Richtung dieser Musik bewegen. Wir sind wirklich sehr dankbar und glücklich darüber, dass es scheinbar viele Menschen gibt, die für etwas umfangreichere Musik noch offen sind.“


Zusammen mit dem textlichen Inhalt und der visuellen Präsenz, auch auf dem neuen Artwork, hält Simon „Jenseits“ nebst dem Track „Ecce Homo“, welcher bereits auf „Zerfall“ zu hören ist, für etwas absolut Einzigartiges, konstatiert er. „Bei manchen Stellen versetzt es mich nach wie vor in Gänsehautstimmung. Ich denke, die neue Platte hat Potential, gut ‚verstanden‘ werden zu können, auch wenn die Spiellänge extrem ist. Musikalisch gesehen, hat man es hier mit klaren Strukturen zu tun.“



Mit dem Endergebnis könnte er zufriedener nicht sein, freut er sich. „Jedoch weckt das dann auch zeitgleich in mir das Verlangen, bei zukünftigen Werken dies und das noch zu modifizieren und Neues auszuprobieren.“


Das Songwriting verlief wie immer, so ist zu erfahren. „Ich schreibe die Musik bei mir zu Hause in aller Ruhe. Im Anschluss wird getextet. Ich kam relativ schnell in die ‚Jenseits‘ rein, allerdings wurde es mit der Zeit zunehmend komplexer und schwieriger, einen Abschluss zu finden. Es war zeitweise richtig harte Arbeit.“



Simon liebt es, wie er sagt, wenn er mit einer kleinen Idee etwas sehr Brachiales und Mächtiges aufbauen kann. „Da gibt es nicht wirklich ein pauschales Rezept, wie etwas genau zu beginnen hat. Manchmal ist es ein Gitarren-Riff, manchmal eine Gesangsmelodie oder schlichtweg eine bestimmte Harmonienabfolge gepaart mit einem Rhythmus. Da ich noch nicht die spätere Produktion höre, sondern anfänglich lediglich mit einem Computer-Sound - so ist und war das bei mir persönlich immer - arbeite, bin ich auf mein Vorstellungsvermögen angewiesen. Das klingt eventuell etwas bescheuert, aber ist sehr aufregend für mich und macht mir ungeheuerlich Spaß. Ich zeichne das Werk quasi mit einem dünnen Bleistift auf einem Fresszettel, gehe später in die Iguana Studios zu Christoph Brandes, wo wir dann gemeinsam diese Notizen mit allen möglichen Pinseln, Stiften, Spraydosen und Farben bis ins kleinste Detail fertigstellen und ausschmücken werden.“

Die Zeit in den Iguana Studios ist für ihn immer super, verkündet Simon voller Freude. „Christoph Brandes ist seit der ersten Stunde unser Sound-Engineer und Produzent. Und viel wichtiger noch: er ist ein guter Freund! Neben dem ganzen Stress, den wir immer durch die komplexe Produktion haben, kommen wir sehr gut miteinander aus – wir wissen wie wir miteinander arbeiten können und haben auch immer genügend Raum, um entspannt mal Scheiße zu labern oder Schweinebauch zu essen. Sehr wichtig für den Erfolg der jeweiligen Produktion!“ [lacht]

Die dortigen Aufnahmen aller Instrumente verliefen weitestgehend sehr gut.

„Da sind einfach alle Bandmitglieder ausreichend diszipliniert und bereiten sich gut vor. Ich selber hatte im Nachhinein dieses Mal etwas mehr zu kämpfen mit der Produktion aller orchestralen und synthetischen Arrangements; das hatte etwas mehr Zeit in Anspruch genommen als sonst, da ich immer wieder auf neue zusätzliche Ideen und Details kam. Das war quasi fast eine Never-ending Story!“

Wie lange das komplette Songwriting für „Jenseits“ insgesamt in Anspruch nahm, kann der Musikus im Nachhinein nicht sagen:

„Ich habe absolut keine Ahnung wieviel Monate das Ganze alles in allem dauerte. Hier muss und will ich als Erstes meiner Frau und Familie danken, dass ich so viel Unterstützung bekomme, um so etwas Umfangreiches machen zu können – es ist nach wie vor ein Hobby, welches sehr viel Zeit und Kraft schluckt. So etwas ist nicht immer ganz einfach mit einem Haufen Kinder zu vereinbaren! Der gesamte Schreibprozess von ‚Jenseits‘ war ziemlich komplex und hat mich wirklich auch manchmal an meine Grenzen getrieben, sodass ich dann pausieren musste und die Skizzen erst einmal Wochen lang habe ruhen lassen. Dann lädt man seinen eigenen Akku wieder durch den familiären und sonstigen Arbeitsalltag auf. Grob geschätzt habe ich schon ein paar Monate gebraucht, wobei kleinste Details dann erst noch im Studio folgten und ich dann auch nach den Recording Sessions alles mögliche an synthetischen Klängen und orchestralen Elementen hinzugefügt habe – wenn ich jetzt gerade zurückblicke, dann war das gesamte ‚Jenseits‘-Paket ein wahnsinnig wuchtiges Kapitel in der finsterforstigen Geschichte.“

Als die vier Kapitel des neuen Mammutsongs im Dialog lyrisch konkretisiert werden, konstatiert der Gitarrist: „Das Thema Freiheit war für uns ja schon immer wichtig und wie alle hatten wir in den letzten drei Jahren eine Art Crashkurs, was für unterschiedliche Bedeutungen dieses Wort für Menschen haben kann. Die ‚Jenseits‘ entstand in der Hochphase von Covid, als diese unterschiedlichen Auffassungen sehr laut und heftig aufeinandergeprallt sind, und wo der größte Teil der Menschen, die weder dem einen, noch dem anderen Extrem angehörten, schlicht niedergebrüllt wurden. Eine interessante Beobachtung war, dass zeitgleich zum Panikmodus jeder Seite auch die Selbstdarstellung in sozialen Medien extrem zunahm. Vor diesem Hintergrund wurde der Text so eine Art Selbstbefreiung von diesen subtilen Zwängen eigener Unsicherheiten, die durch soziale Medien und unsere hyperaktive Kultur verstärkt werden. Unser Gehirn wird ständig überfordert und der einzige Weg zu echter Freiheit ist wohl die Auseinandersetzung mit unseren eigenen Gedanken. Die meisten suchen stattdessen jedoch Applaus, der diesen Prozess übertönt.“

© Markus Eck, 27.08.2023

[ zur Übersicht ]

All Copyrights for band-photos & -logos reserved by its Respective Owners.

Advertising

+++