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Interview: RYUJIN
Titel: Kriegerischer Geist

Pfeilschnell exerzierter, bombastisch arrangiert tosender MeloDeath mit urtypisch folkig tradierten Nippon-Nuancen ist das mitreißende Power-Pläsier dieser japanischen Sturmseelen, die auf ihrem aktuellen, selbstbetitelten Album allerlei furiose Drachenritte auf der fernöstlichen Notenskala zelebrieren.

Wie so oft bei eigenwilligen Künstlern aus diesem Teil der Erde, dominiert die hungrige Wandelbarkeit den gesamten Werdegang - damalig gestartet als Suicide Heaven, gründeten die Musiker dann 2011 Gyze, was nun nach erneuter Namensänderung in Ryujins erstem Langspieler mündet.

Die erfahrene Formation selbst, welche bereits mit vier erfolgreichen Alben weltweit auf großen Festivals aufgetreten ist, nennt ihr hyperenergisches Klangspektakel „Samurai Metal“ - und wie Sänger, Gitarrist und Keyboarder Ryoji ‚Ryo’ Shinomoto, von Anfang an prägend dabei, berichtet, leiden er und seine Mitstreiter so gar nicht unter Problemen in Sachen Selbstidentifikation.

„Samurai Metal“, das wird für den europäischen Genrefan-Großteil noch völlig neu sein. Der Frontmann holt dazu weit aus: „Es ist wie der sogenannte skandinavische Viking Metal. Ich benutze den Begriff, weil der Songtitel der Single, die ich ursprünglich 2021 mit Gyze veröffentlicht habe, ‚Samurai Metal‘ war, und er kann leicht als eine Beschreibung für japanischen Metal verstanden werden. In dem Song geht es nicht um die Geschichte der Samurai, aber ich schreibe häufig über diese Ära, und ich bringe auch japanische Skalen und Instrumente in die Musik ein, um Originalität zu schaffen. Für uns Japaner ist das Zeitalter der Samurai so lange her, dass es sich wie eine Fantasie anfühlt - aber es ist immer noch ein Begriff, der heute verwendet wird, wenn die Japaner auf der Weltbühne stehen. Im Falle des Baseballs zum Beispiel heißt es ‚Samurai Japan‘! Es gibt viele Theorien über die Geschichte der Samurai, aber während der Zeit der Streitenden Staaten, die von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis 1603 dauerte, als das Edo-Shogunat errichtet wurde, war es möglich, Samurai zu werden, indem man auf dem Schlachtfeld arbeitete, unabhängig von seiner Herkunft. In der Edo-Periode - 1603-1867 - wurde ein Statussystem mit ‚shi‘-Bezeichnungen jeweilig für Krieger, Bauer, Handwerker und Händler eingeführt. Innerhalb dieses Statussystems hatten die Samurai die höchste Position inne und waren die herrschende Klasse Japans. Ich bewundere die Samurai nicht, aber wenn ich in verschiedenen Ländern Metal-Musik spiele, bin ich sicher, dass sich der Samurai-Geist in meinem Herzen manifestiert!“

Hervorragend produziert von Triviums Sänger und Axeman Matthew Kiichi Heafy, der sich als Halbjapaner ganz ergiebig mit Ryujin verbrüderte, erfuhr der Samurai Metal-Sound die genau richtige Aufbereitung - was der weltweiten Szene eines der lebendigsten und dynamischsten Metal-Alben überhaupt offenbart. Ryo freut sich innig:

„Ich denke, dass dieses Werk sehr abwechslungsreich ist. Das ist Matthew zu verdanken. Er hat viele neue Türen geöffnet und wir haben mit seiner Produktion neue Möglichkeiten gefunden. Von der Songauswahl bis hin zum Gesangsstil - dieses Mal war es das Ergebnis unseres Vertrauens in ihn. Außerdem haben wir zum ersten Mal auch Mark, einen amerikanischen Tontechniker, für den Sound beauftragt, so dass das Klangbild sich von dem europäischen Sound unterscheidet, den wir in der Vergangenheit hatten. Ich bin sicher, dass viele Leute dieses neue Album mögen werden.“

„Guren No Yumiya“, worin Matthew K. Heafy als musikalischer Gast fungiert, ist so dermaßen aufregend schnell, dass es fassungslos machen kann. Das Material auf „Ryujin“ erklingt teilweise wie das Hochgeschwindigkeits-Ausrasten von Ensiferum zusammen mit Children Of Bodom auf dem explosiven Power Metal-Trip mit einer gemeinsamen Überdosis an Amphetaminen - befragt, welches exzessive Übungspensum über Jahre hinweg da dahintersteckt, zieht der Meister erhaben vom Leder.

„Vor der Tournee, die heute zu Ende ging, habe ich etwa drei Monate lang jeden Tag stundenlang für nur fünf Lieder geübt. Ich übe sehr viel, vor allem, weil ich seit Jahren Leadgitarre bei Sing Sametime spiele. Es ist manchmal anstrengend hart, aber im Grunde genommen übe ich gerne! Schmerzhaft ist es für mich eher selten, aber manchmal einfach schon ziemlich kräftezehrend.“

Der spezielle Stil von Ryujin fußt auf einer ganzen Vielzahl an Erfahrungen und Einflüssen, erläutert Ryu. „Musikalisch kann ich mich ohnehin nicht auf eine einzige Band beschränken. Ich bleibe immer offen für neue Dinge und lerne gerne dazu. Ich persönlich mag Filmmusik und klassische Musik. Auch alte japanische Popmusik gibt mir immer wieder Anregungen. Ich hatte viele musikalische Diskussionen mit Janne von Ensiferum, als wir auf Tour waren, und er erzählte mir, dass die ursprüngliche finnische Metal-Musik damals ja eigentlich wie Pop aus den 70er-Jahren war. Als ich sie mir anhörte, verstand ich, dass sie zu meiner Überraschung der alten japanischen Popmusik ähnlich war. Ich bin mir sicher, dass auch ich unbewusst meine Originalität durch eine feine Mischung von Einflüssen aus vielen Quellen schaffe. Was die Einstellung betrifft, so wurde ich von Joe Hisaishi und dem alten Komponisten Akira Ifukube beeinflusst. Mit anderen Worten, das sind Leute, die Japan in die westliche klassische Musik integriert haben.“

© Markus Eck, 01.12.2023

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