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Interview: TARJA
Titel: Höchste Zeit, das (Fest-)Licht auszumachen

Mehrere Male hat sich die weltberühmte finnischstämmige Wunderstimme bereits an Christmas-Alben gewagt, doch diesmal kommt es doch ein wenig bis ziemlich anders.

Für „Dark Christmas“ besann sich Tarja auf die spirituelle und abgedunkelte Seite so einiger Klassiker, mit welchen zur Weihnachtszeit vielfach beschallt wird. Doch damit nicht genug, sie schrieb auch selbst wieder einen ganz eigenen Song dafür, wie die Grande Dame des Symphonic-Metal- und Rock-Opera-Sopran wissen lässt.

„Nachdem ich mein allererstes Christmas-Album in 1996 herausbrachte und ein paar Jahre später mein zweites, schien es mir mal wieder nötig, noch eines zu machen – und dies tiefgründiger und verdunkelnder als je zuvor“, weiß sie in allerbester Laune zu erzählen.

„Bereits das zweite, ‚From Spirits And Ghosts (Score For A Dark Christmas)‘ und 2017 erschienen, widmete sich alles andere als der fröhlichen Seite dieser Festtage. Doch diesmal habe ich noch mal eine Portion Dunkelheit draufgelegt, und ich empfand sofort eine Riesenfreude daran – es gibt diesmal sozusagen ein Upgrade! Und es gibt noch mehr Unterschiede zu den anderen beiden Alben: Hatte ich für den Vorgänger nämlich noch eher entdeckt und experimentiert, so stand meine Direktive für ‚Dark Christmas‘ nun so richtig fest. Auch packte ich die Gelegenheit beim Schopfe und nahm mich diesmal gleich den bekanntesten Christmas-Songs überhaupt an“, wird Tarja regelrecht impulsiv.

„Ich wusste vom Fleck weg, dass die ganzen Arrangements diesmal eine riesige Herausforderung sein werden. Doch da ich abermals mit Filmmusik-Komponist James ‚Jim‘ Dooley arbeitete, hatte ich da keine allzu großen Bedenken“, lobt sie ihren kreativen Produzenten.

„Er erarbeite für ‚Dark Christmas‘ gewohnt großartige, überwältigende Chor- und Orchesterarrangements. Die wunderbar harmonische und überaus ergiebige Zusammenarbeit mit ihm geriet seit meinem ‚My Winterstorm‘-Album über die Jahre ohnehin immer mehr zu einer richtig lieb gewonnenen Konstellation – er nahm sich für alle meine Lieder der symphonischen Seite immens ambitioniert an, wofür ich ihm auch jetzt gar nicht dankbar genug sein kann. Diesmal wollten wir zwei es mal so richtig packen und Rudolph, dem kleinen Rentier, sinnbildlich die rote Nase so richtig weghauen“, so scherzt die Kehlengöttin ausgelassen.

Wie sie nach einem kleinen, feinen Lachanfall weiter offenbart, sind ihr die allermeisten von den jährlich wie auf Bestellung wiederkehrenden „Weihnachts-Dauerbrennern“ eher ein klanglicher Dorn im Ohr.

„Geht man zu der Zeit beispielsweise in den Supermarkt oder durch eine Shopping-Mall, ertönt doch immer das gleiche aus diesem eher begrenzten Fundus. Mich haben all die sogenannten ‚Klassiker‘ davon also auch nie direkt inspiriert, sie selbst musikalisch neu zu interpretieren. Doch dann kam die Idee mit der großen, schaurigen Düsternis - und ich verspürte auf einmal große Lust, das Ganze so richtig ‚einzudunkeln‘, und das eben auf eine, auf meine ganz spezielle Art und Weise!“

Coca Cola-Eisbär-Trucks etc - als das fokussierte Gespräch dahingehend auf die nicht selten unerträgliche Verkommerzialisierung eines ursprünglich rein festlich-besinnlich und feierlich-besinnend konzipierten Brauches zugeht, konstatiert Tarja:

„Das Weihnachtsfest wurde über die Jahre auch in Europa immer amerikanisierter, natürlich auch in Finnland. Doch deutlich mehr als ihr in Deutschland, sehen wir Finnen in dieser Zeit viel eher den Bedarf zum wirklichen Herunterfahren aller äußeren und vor allem innerlichen Beschäftigungsspektren. Der Finne zündet von altersher dann wie immer seine Kerzen an, um Licht in die Hütte zu bekommen. Dies liegt natürlich aber auch daran, dass wir in unserer Region der Welt zu dieser Jahreszeit an akutem Tageslichtmangel zu leiden haben, wie man weiß. Auch der teils massive Schneefall führt dazu, dass es für Finnen und Skandinavier an sich die leiseste bis stillste Zeitspanne im Jahreszyklus ist. Für Finnen - viele würden mehr Licht untertags durchaus begrüßen - sind weihnachtliche Schneemassen allerdings immer willkommen.“

Da sie viele Jahre in Buenos Aires lebte und arbeitete, wie ebenso mittlerweile in ihrem neuen Domizil in Spanien, kann die populäre Sängerin einiges zum jeweilig dortigen „Weihnachts-Feeling“ erzählen.

„Ja, auch in der Karibik, wo ich für diverse Produktionen wie beispielsweise Outlanders, am Start war, fühlte sich Weihnachten ausgeprägt unterschiedlich für mich an. Das Magisch-dunkle, was daran mich so sehr reizt, seit ich Kind bin, ist da natürlich einfach nicht vorhanden. Aber ich habe mir immer so gut es ging verinnerlicht, wie es früher in meinen jungen Jahren war, und all die Erinnerungen trugen maßgeblich dazu bin, den wirklichen Weihnachtsgedanken auch in der Ferne in mir auszuleben.“

Letzteres transformierte Tarja auch ganzheitlich in ihren selbst geschriebenen Song, nämlich das Titellied der aktuellen Veröffentlichung.

„Ich komponierte das Stück für die ‚dunkle Zeit des Jahres‘, welche uns Menschen unweigerlich berührt, allein schon deshalb, weil es viel früher dunkel wird am Tag. Ja, es ist ein Familienfest, welches in gesellig-vertrauter Runde zelebriert wird, dennoch will man dabei aber ‚unter sich sein‘. Das führt leider aber auch zwangsweise dazu, dass sich viele Menschen allein beziehungsweise allein gelassen fühlen - am schlimmsten fühlt sich dieser Zustand für diejenigen an, die einen lieben Menschen für immer verloren haben. Mich hat dieser Begleitumstand seit jeher tief und nachhaltig berührt als auch zum Sinnieren angeregt.“

Als eine wirkungsvolle Aufmunterungs- und Trostmöglichkeit hat die Vokalistin daher auch gerade das ausgefeilte Entertainment ihrer X-Mas-Touren angelegt, lässt sie wissen.

„Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, diese Botschaft der Hoffnung möchte ich damit insgesamt primär vermitteln. So habe ich auch während des gesamten Entstehungsprozesses der neuen Lieder für ‚Dark Christmas’ wieder stets die sich einsam fühlenden und eher traurigen sowie trauernden Menschen im Sinne gehabt, was den Kompositionen eine authentische Tiefe und nachhaltige Skala der Besinnlichkeit ermöglichte. Ich erlebe es ja an mir selbst - die bewusste Fokussierung auf das - individuelle - Dunkle und die umso angenehmere Wiederkehr ins Licht, ins Helle, lässt mich ein überaus positiv denkender Mensch sein. So oft werde ich gefragt: ‚Was findest du denn eigentlich so schön und reizvoll an der ganzen Dunkelheit?‘ Ich antworte dann stets: Es hilft mir einfach ganz enorm dabei, die wirklich relevanten Kontraste im meinem Dasein zu erkennen und entsprechend bewusst zu leben!“

Als eine gleichfalls sehr nette Begebenheit auf „Dark Christmas“ benennt Tarja schließlich noch, dass diesmal sogar ihre Tochter musikalisch mitgewirkt hat.

„Ja, sie spielt Schlagzeug in einem der Songs und sie ist sogar auch als Sängerin zu hören. Sie ist jetzt schon elf, hat gerade frisch die weiterführende Schule begonnen - meine Güte, wie schnell die Zeit doch vergeht! Auch einige ihrer Mitschülerinnen haben Gesänge beigesteuert, wir nahmen das in einem professionellen Studio in Malaga auf. Es war wirklich höchst emotional für uns alle. Und ja, ich sehe es auch so, genau dadurch, dass sie noch so unerfahren darin sind, erzeugten sie perfekte ‚Imperfektion‘, wie ich es nenne - ihre in diesem Alter noch ausgeprägte ‚Unschuldigkeit‘ brachte dabei sogar einige ziemlich aufwühlende bis unheimliche Momente für mich mit sich, weil es einfach so dermaßen ergreifend war, ihre Stimmen so hingebungsvoll singen zu hören.“

© Markus Eck, 23.10.2023

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