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Interview: THERION
Titel: Multipel monumental

Wenn verdiente Pioniere wie diese etwas Neues veröffentlichen, horchen Fans und Fachwelt sofort interessiert auf. Und das zurecht, wie die schwedischen Symphonic Metal-Spitzenkönner Therion mit dem neuen Album „Leviathan III“ offenbaren.

Mit dem aktuellen Werk erfährt die 2021 begonnene Trilogie ihre finale Vollendung. Als Bandgründer und Mastermind blickt Maincomposer und Gitarrist Christofer Johnsson nicht nur seit 1988 auf eine in so vielen Belangen ganz außergewöhnliche Karriere zurück. Sondern der schwedische Genius hat auch bis heute nichts von seiner kompositorischen Intuition, seiner überdimensionalen Bandvision und seinem einzigartigen Gespür für großartigen Symphonic Metal mit theatralisch-operettenhaftem Anstrich eingebüßt.

Für Christofer fühlt es sich momentan an, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen und hätte das Ziel erreicht, so sagt er. „Es war eine wahnsinnige Menge an Aufnahmen in einer so kurzen Zeitspanne, und wir haben auch eine Tournee dazwischen gemacht, wenn auch eine kürzere als normal, da wir den größten Teil von Europa ausgelassen haben. Ich habe jetzt ein paar ruhige Monate, in denen ich mich nur um die Promotion kümmere, und dann werden wir eine Welttournee zur Unterstützung des Albums machen.“

Zur neuen, für seine Band beileibe nicht unwesentlichen Labelsituation verkündet er:

„Praktisch ist es nicht schwierig, aber man muss sich natürlich oft an eine neue Arbeitsweise gewöhnen und anpassen. Aber wenn man von einem großen professionellen Label zu einem anderen wechselt, geht das in der Regel recht reibungslos. Aber emotional fühlte es sich etwas seltsam an, von Nuclear Blast zu wechseln, mit denen wir seit 25 Jahren zusammen waren und die über 20 Alben und DVDs mit Therion veröffentlicht haben. Aber es war an der Zeit, weiterzuziehen, und Napalm hat viel Enthusiasmus und Leidenschaft für die Zusammenarbeit mit uns gezeigt, so dass es sich gut anfühlt, auch etwas Neues auszuprobieren.“

Durchdachte Etappen
Garantiert steckt eine ganze Menge Arbeit in einer so in sich geschlossene Trilogie - über den aktuellen dritten Teil lässt der Hochkreative verlauten:

„Das Schlagzeug, der Bass und die Gitarre wurden für alle drei Alben gleichzeitig aufgenommen, nur Gesang, Chor, Keyboards und Orchestrierung wurden separat gemacht. Der Arbeitsaufwand war ähnlich, nur der Chor brauchte für das zweite und dritte Album viel mehr Zeit, weil wir damals alle Chorsänger einzeln aufnahmen, anstatt sie als Gruppe in einem Ensemble aufzunehmen. Bei ‚Leviathan II‘ haben wir beides gemacht, bei ‚III‘ haben wir es nur mit den einzelnen Takes gemacht. Das Eröffnungsstück ‚Ninkigal‘ wurde jedoch für ‚Leviathan I‘ aufgenommen, aber ich entschied, dass es stilistisch besser zu ‚III‘ passen würde, also wurde dieser Song mit einem Chor auf die normale Art und Weise aufgenommen und das Stück ‚Nummo‘ hat die gleiche Geschichte, außer dass es von der ‚Leviathan II‘-Session stammt. Es gab jedoch einige Stücke, die auf diesem dritten Album weiter entwickelt wurden. Die Gesangsarrangements für die Songs ‚What Was Lost‘ und ‚Unsung Lament‘ waren zum Beispiel sehr komplex.“

Sängerlegende Thomas Vikström, der diesmal auch nicht minder geniale Tenorparts beisteuerte, ist seit 2009 im Line-Up von Therion. Mit seiner ebenso markanten wie charismatischen Stimme ist er Freunden anspruchsvoller Vokalvorträge hauptsächlich seit dem 1992er Candlemass-Klassiker „Chapter IV“ bekannt. Er freut sich zunächst über das Lob zu seinen und Loris Gesangsleistungen auf „Leviathan III“.

„Vielen Dank, ich weiß das vollauf zu schätzen. Ich bin sehr zufrieden und stolz darauf, wie alles letztlich geworden ist. Nicht nur mit meinem eigenen Auftritt, sondern mit dem Beitrag der ganzen Band und allen Gastsängern und Gastmusikern. Wirklich tolle Arbeit!“

Der Haupttitel der Albumtrilogie bringt tiefer Interessierte zum philosophischen Nachdenken ... „Leviathan“ stellt in der umfangreichen jüdischen Mythologie nämlich ein kosmisches Seeungeheuer dar, welches am Ende der Welt von Gott besiegt wird. Darin scheint nicht wenig an Analogie zur heutigen, Polykrisen-geschüttelten Zeit zu stecken.

Die dahingehende Frage, ob die gegenwärtige Menschheit nicht auch einmal mehr fatal in einem sinnbildlichen Meer aus Dummheit, Ignoranz und Hass ins Ungewisse schwimmt und damit eigentlich selbst als Leviathan wirkt, bringt den gestandenen Frontmann zum bejahenden Nicken.

„Sehe ich auch so. Vor allem auf viele, nicht wenig fragwürdige Politiker trifft dies genau so zu. Aber ich versuche stets, mich nicht zu sehr auf derlei zu konzentrieren. Ich probiere vielmehr, mich mit möglichst positiven Dingen zu umgeben. Das Leben ist zu kurz, um die Aufmerksamkeit all dem Schlechten zu widmen. ‚Leviathan‘ könnte tatsächlich genauso gut ‚The Covid Sessions‘ heißen. Aber ‚Leviathan‘ klingt dann doch ein bisschen cooler“, gibt Thomas mit einem schelmischen Lächeln hervor.

Auch nach so vielen aktiven Jahren liefern die Beteiligten mit dem neuen Material immer noch den altbewährten, typischen Therion-Stil.

Viele werden die Gänsehautmomente niemals vergessen können, als sie damals wie der Autor mit „Theli“ zum ersten Mal wonnig diese überwältigend opulente Musik kennenlernten.

Was für ein außergewöhnlicher Mensch und Geist muss jemand wie Christofer sein und welche künstlerischen Instinkte spürt der Mann anhaltend in sich, um immer wieder so etwas Überwältigendes zu schaffen?

Auch Thomas schätzt seinen respektierten Bandkollegen aufs Allerhöchste:

„Es ist eine wahre Freude, mit ihm zu arbeiten. Ich würde sagen, er ist ein echter Visionär. Außerdem hat er nie Angst davor, das zu tun, was er will, ungeachtet dessen, was andere Leute darüber denken könnten. Wenn er ein Hip-Hop-Album machen wollen würde, glaubt mir, er würde es tun. Das war nur ein krasses Beispiel, keine Sorge, das wird nicht passieren!“

Therion hat nach so langer Zeit als aktive Musikergemeinschaft und mit sagenhaft außergewöhnlichen Lieder-Thematiken künstlerisch immer noch so ungemein viel zu sagen - um das ganz persönliche, kreative Rezept ersucht, welches es der Band ermöglicht, immer wieder aufs Neue so ungemein erbaulich und tief inspiriert zu wirken, proklamiert Thomas für sich selbst:

„Es kommt alles auf gute Songs an. Ich persönlich sitze nicht herum und warte auf die Inspiration, die dann kommt. Ich setze mich einfach hin und schreibe, und hoffentlich kommt dabei etwas Gutes heraus. Dafür gibt es kein Rezept. Manchmal ergibt sich zufällig etwas, das mich sofort zu einem Song inspiriert, aber die meiste Zeit arbeite ich, und je mehr ich arbeite, desto mehr scheint die Inspiration von selbst zu kommen.“

Was nun die Trilogie an sich betrifft, so endet sie nun mit „III“. Thomas blickt hierzu weiter zurück: „Von Anfang an hatten wir vor, nur ein einziges Album dazu zu machen. Aber wir haben dann im Nachfolgenden so viele Songs geschrieben, dass Christofer auf die Idee kam, stattdessen drei Alben zu machen. Eine gute Idee, wenn man mich fragt. Auf Nummer eins haben wir also die besten ‚kommerziellen‘ Songs gesammelt, auf dem zweiten Teil dann die Songs mit einer etwas dunkleren Atmosphäre und auf dem dritten lassen wir es nun so richtig krachen, es ist experimenteller und manchmal auch progressiv.“

Zu aktuellen lyrischen Inhalten kann der Vokalist nicht viel sagen, wie er offenbart, da diese von Therion-Texter Per Albinsson geschrieben werden. „Ich denke jedoch, da gibt es in einigen Punkten Ähnlichkeiten mit den Verhältnissen in der heutigen Welt - schließlich haben alle Mythen, Legenden und Traditionen einen Kern, der auch heute noch gültig ist. Denn trotz aller technischen Errungenschaften hat sich der Mensch leider nicht verändert oder in sich weiterentwickelt - es gibt ja zum Beispiel immer noch so viele religiöse Fanatiker weltweit.“

Sehr erwähnenswert sind auch wieder die aufwändigen und fantasievoll umgesetzten Musikvideos zum aktuellen Release, man sehe sich nur auf YouTube den sechseinhalbminütigen, wunderbaren Song „Ruler Of Tamag“ an, welcher auch visuell ebenso schön wie interessant zu erleben ist. Ganz sicherlich eines der besten Musikvideos, die im Metalbereich jemals zu sehen waren.

„Vielen Dank dafür. Ja, ich bin ebenfalls sehr zufrieden damit. Wir haben bei diesem Video KI als Experiment verwendet. Ich bin mir allerdings immer nicht ganz sicher, ob ich die Idee nun gut finde oder nicht. Zumindest war es einen Versuch wert - und wir haben es getan.“

Angefertigt wurde der Clip von Carlos Toro mit seiner Company Abysmo Films - und es ist in dessen Beschreibung zu erfahren, dass Carlos seit ganzen 13 (!) Jahren die Therion-Videoclips erstellt.

Tarja-Fans wird es dabei freuen, dass die Grande Dame des Symphonic Metal in „Ruler Of Tamag“ verdient gewürdigt wird.

„Dieser Song unterscheidet sich von den anderen auf dem neuen Album, weil er geschrieben wurde, bevor wir mit dem eigentlichen Songwriting für ‚Leviathan‘ begannen. Ich schrieb diesen Song mit Tarja Turunen im Hinterkopf und dachte daran, ihn ihr zu geben. Aber ich ließ Christofer zuerst zuhören und er mochte ihn sehr. Also sagte er: ‚Lass es uns ein bisschen ‚therionisieren‘. Und das Ergebnis spricht absolut für sich selbst.“

Thomas bestätigt im Weiteren mit deutlich sichtbaren Freuden, dass sich mit Carlos Toro über die Jahre eine hervorragende Zusammenarbeit entwickelt hat, bei der einer den anderen sehr gut kennt und die Dinge ebenso produktiv wie reibungslos laufen.

„Ja, der Typ ist echt unglaublich. Und es ist wahr - wir mögen und schätzen es, wenn die Dinge glatt laufen und mit ihm ist es eben immer angenehm und insgesamt schön zu arbeiten. Da ist ganz einfach nie ein Problem am Stören.“

Auch „Twilight Of The Gods“, ebenfalls wunderbar besungen ist, hebt sich als Clip visuell exquisit vom drögen Einerlei der Symphonic-/Gothic-Metal-Video-Welt ab und ist damit maximal sehenswert.

„Absolut, ich lehne mich auch bei diesem grandiosen Video einfach zurück und genieße es. Carlos ist eben durch und durch Profi.“

Obwohl die „Leviathan“-Trilogie mit der aktuellen Veröffentlichung abgeschlossen ist, legen sich die ständig ambitionierten Therioner keinesfalls auf die faule Haut. Definitive Pläne für weitere fulminante Konzeptpostulate stehen derzeit nicht an:

„Es fühlt sich verdammt gut an, den dritten Teil jetzt endlich am 15. Dezember zu veröffentlichen. Und 2024 wird auch ein Jahr des Tourens sein, was ich persönlich sehr liebe. Was danach kommt, weiß ich nicht. Wird es weitere Therion-Alben geben? YES IT WILL!“

© Markus Eck, 22.11.2023

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